Besonderheiten / 1
Geschichten, übers genauer hinsehen.

• der Blutorangen-Ananas-Chai-Tee
Die große Kanne steht längst bereit. Frisch ausgewaschen, luftgetrocknet. Eine breite gelbe Keramiktasse stelle ich dazu. Sie hat schon ganz viele Risse innen, weil sie schon so alt ist. Man vernimmt ein vertrautes Pfeifen, das Wasser kocht bereits. Nun stelle ich den Kessel beiseite, und mische den Tee ab. 'Hmm', wie das gut duftet, das getrocknete Blätterwerk. Ein wenig Orangenschalen, klein geschnitten. Eine kleine Hand voll grüner Tee. Getrocknete Ananas Stücke, und eine Prise Chai-Gewürz. Noch einmal in der Tasse durchschütteln und vermischen, dann ab in die Kanne.
Acht Minuten und zweiunddreißig Sekunden lang, gebe ich dem achtundachtzig Grad heißen Wasser Zeit, die Aromastoffe aus der Teemischung zu befreien. Ganze neun Minuten sitze ich daneben, und beobachte gespannt. Man sieht wie sich der Geschmack als bunte Fäden, aus der Mischung in das glasklare Wasser zieht. Nach etwa neun Minuten ist die Kanne dunkel Pfirsichfarben. Ich nehme den Filter aus der Kanne.
Auf einen kleinen Löffel lege ich behutsam drei Brocken Kandiszucker. Ich tauche ihn nicht gleich ein. Nur ganz leicht, so das der Tee den Löffel mit dem Zucker erobern muss. Der Löffel hat sich mit Tee gesammelt, und der Kandiszucker beginnt zu schmelzen. Nach einer Weile rühre ich den geschmolzenen Zucker ein. Ich rühre mit vier entspannten Kreisdrehungen um, bevor ich den den Löffel beiseite lege, und guten Blütenhonig dem Tee hinzuzugeben. Der Honig, welcher ein Erzeugnis vieler vieler fleißiger Tiere ist, setzt sich am Boden der Kanne ab.
Ich lass den guten Honig in Ruhe zerschmelzen, soll er doch. Ich mag es, wenn Tee anfänglich natürlich und ungesüßt, und erst gegen Ende hin süß und intensiv schmeckt.
Ich kann behaupten, diese zehn Minuten meines Lebens vollstes genossen zu haben.

• Omas dunkelbraune Schatulle
Jeder, der mich besuchen kommt, kann gerne frei über alles in meiner Wohnung verfügen. Alles ansehen. Alles angreifen.
Bis auf das oberste Fach meiner Vitrine.
Dort sind wahrlich alle besonderen Kleinigkeiten, welche mich an vergangene Tage erinnern. Gesammelte Postkarten mit witzigen oder besonderen Motiven; Briefe einer Freundin; das Briefkuvert von dem einen Künstler, welcher mir sein Album persönlich per Post geschickt hat; alte Schulfotos; Zugfahrkarten, von der ersten Reise nach Deutschland zu meiner Familie, oder von der ersten Fahrt nach Wien zu einer Verflossenen. Eine Taschentuchpackung mit Klimt-Motiven, und meiner erster gefalteter Origami-Kranich. Meine Festival-Brille. Bei jedem Festival halte ich Ausschau nach einer verloren gegangenen oder kaputten Brille. Diese wird dann zur Festival-Brille ernannt und getragen. Weiters ein Reclam von Kafka. Der Stoff einer selbst gehäkelten Socke, welche ich von der Mutter einer Freundin bekam. Yu-Gi-Oh Karten, welche ich zum achtzehnten Geburtstag von meinem besten Menschen bekam. Denn ja, wir spielen das seit dem es "uncool" ist. Ein Korken, von dem ich nicht mehr genau weiß woher er ist; nur das er 'Korki' heißt und es anscheinend eine sehr berauschende Nacht gewesen sein muss. Mehrere gebrauchte Gedichtbücher, welche ich ergattert habe. Tagebücher von mir, und eine alte VHS Kassette, welche ein MTV Nirvana Special auf sich trägt. Ein Paar Cent Stücke, die ich hier und dar gefunden habe, und, Omas dunkelbraune Schatulle, in welcher sich die ältesten Schätze befinden. Sie ist eine gute Handbreite hoch, Handlänge tief und eineinhalb Handlängen lang. Ein goldenes Muster ziert ihren Rand. Innen drin ist sie mit dunkelrotem Fließ verkleidet. Und so hütet sie meine schönsten Dinge.
Dinge wie den uralten iPod, welchen ich von einem damals ganz besonderen Mädchen bekommen habe. Eingepackt, umhüllt von Papier. Dann wären da Fotos; Fotos von meinem Großvater den ich kaum kannte, Fotos vom ersten Gig meiner damaligen ach so jungen Band. Diverse Festivalbänder und Pässe. Eine kaputte Frauenuhr welche wir damals im Winter am Bahnhof gefunden haben, und welche ich aus Protest gegen die Homophobie meiner Klasse trug. Eine Tüte mit abgeschnittenen Haaren. Jeder Millimeter des Haars erzählt eine Geschichte für sich. Zeitzeugen. Noch ein paar Anhänger und Armbänder. Das sind die goldenen Momente meiner Vergangenheit.
Sollte ich jemals wieder in den Genuss einer Depression durch Zukunftsängsten kommen, habe ich ein ganzes Fach voller Beweise, dass ich nie wissen werde was alles passieren wird, es aber im Nachhinein veradmmt schön ist einen Blick drauf zu werfen.