Plus Eins
Schwermütig konnte ich mich dann doch dazu aufraffen diese Party zu besuchen. Eigentlich wollte ich keinen Abend mit einer Scheingesellschaft. Mit fremden Menschen, welche sich betrinken und bezirzen. Ich wollte viel lieber in meinen vier Wänden sitzen. Kreuz und quer durch die Wohnung laufen um zu sehen wo dieses eine Bild besser hinpasst. Ich wollte Noas Geschichte fortsetzen, etwas kochen, aufräumen.

All dies schien mir wertvoller als übertriebe Freundlichkeit, Offenheit und Kontaktfreudigkeit aufbringen zu müssen; Smalltalk, geheucheltes Interesse, zu führen; dann wieder allein rumstehen weil man ihm doch nicht nur an der Backe kleben will.
Und dann bin ich doch gefahren.
Weil ich Betzis neuen CD-Spieler - ich hatte davor nur ein Kassettenwiedergabeabspielsystem - ausprobieren wollte, und, weil ich ihm Achtung und Wertschätzung seines Bemühens zollen wollte.

Dort angekommen widersprach die Lokalität und die Menschen meiner Erwartung. Anstatt saufende Teenager fand ich trinkende Gleichaltrige. Keine grindige Alko-Grotte, nein, ein recht herzlich dekoriertes, stilvolles Lokal mit angenehmen Ambiente.
Ich kam extra eine Stunde zu spät, nur um mit meinem Erscheinen nicht aufzufallen und so in der Masse unter zu tauchen. Aber da war keine Masse. Allsamt vielleicht zwanzig Leutchen. Plaudernd und trinkend.
Ich erzählte ihm von meinen Erwartungen und das ich positiv überrascht sei, meinte er nur so, ja das wären alles nette Leute. Ich meinte ich bräuchte Menschen mit selbigen Level, sagte er. Menschen mit denen es sich lohnt zu unterhalten eben weil man sich mit ihnen unterhalten kann. Dann kam der Gastgeber zu uns herüber und fragte wer ich sei. Er erklärte ihm, ich wäre seine Begleitung, die Plus Eins auf der Einladung.

Etwas später betrat ein bestimmter Mensch den Raum. Ich nenne ihn hier, den Bestimmten.
Der Bestimmte kam gleich her. Ich erkannte ihn. Kannte ihn von Schulzeiten. Er kam her und sagte gleich hallo und woher wir uns kennen.
Ich klärte ihn auf und meinte von der 5G$AQ§ kennen wir uns. Ich wäre der gewesen der 5G$AQ§ danach immer aufgeheitert hat, wenn ihr sie im Zug veraschrt habt. Ja, und so smalltalk'ten wir dahin.
Schnell viel mir auf, dass dieser Mensch ein netter ist.
Es überraschte mich nicht das er wissen wollte was ich arbeite. Es überraschte mich allerdings das er wissen wollte warum ich dort tätig bin, wo ich arbeite, was ich dort machen, und wie ich mir meine Zukunft vorstelle.
Der Bestimmte führte mit mir ja gar keinen Smalltalk, nein, er zeigte wahrlich Interesse. Natürlich erwiderte ich dieses.
Wieder unterhielten uns lange.
Wir sprachen über Arbeit - Zukunft - meine Zukunftspläne - seine Arbeit - seine Freizeit - seine Zukunftspläne - Werbung - Kaufverhalten - mein Meinung zu Werbung und Konsum - Freunde und Auslandsjahre - Musik - gute Musik - verdammt gute Musik - eigene Musik - meine Musik - seine Musik - Beziehungen - sein Exmensch - mein Exmensch - dann wurden wir unterbrochen.

Eine junge Dame kündige die Mitternachtseinlage an.
Oh, eine Stripperin.

Recht angewidert vom Voyeurismus der Menschen, wurde ich Zeuge wie sich eine Prostituierte vor vielen Menschen entkleidete und auf dem Geburtstagskind - du 'Glücklicher' du - rekelte.
Gott ich fand absolut nichts sexuell Ansprechendes daran. Toll. Und anstatt ihre Brüste und ihr Schmuckkästchen zu betrachten, interessierte mich viel mehr ihre Mimik. Sie schauspielerte. Sie schauspielerte Vergnügen und Erotik.

Nachdem die Einlage vorbei war, unterhielt ich mich weiter mit dem Bestimmten, dem DJ und dem Krankenpfleger. Der testosterone Trieb des DJs und des Krankenpflegers entfachte ein Gespräch über Prostitution und dem persönlichen Bezug dazu. Der Bestimmte und ich enthielten uns dem Thema. Schnell entstand eine hitzige Debatte, und nahezu ein Streitgespräch, weil es dem DJ moralisch wie prinzipiell gar nicht gefiel das der Krankenpfleger derartige Lokalitäten aufsucht.
Nachdem ich versucht habe die Fronten zu glätten, und meine Philosophie vom 'geliebten Feind' losgelassen habe, gingen der DJ und der Krankenpfleger, denn man merkte, ein solche Gesprächsebene war ihnen zu viel.
Der Bestimmte blieb.
Wir unterhielten uns weiter, über Musik.
Der DJ spielte mir zu liebe etwas von dieser Musik vor.
Ich war begeistert.
Der Bestimmte meinte gleich, er würde mir gerne eine CD mit dieser Musik brennen, er wohnt ja gleich die Strasse gegenüber. Hallo. Ein Mensch der mich nicht kennt, bringt so viel Freundlichkeit und Offenheit auf.
Ein fremder Mensch will mir Freude machen.

Wir blieben noch ein wenig auf der Party, bis wir dann unsere Sachen packten und zu ihm rüber gingen.
Nette Wohnung. Ikea. Nettes Zimmer.

Und so saßen wir dann da; am Boden; vor seiner Anlage und hörten seine Musik im Schnellverlauf durch.
Ich wollte schon sagen das man sich für Musik Zeit nehmen muss und diese nicht im Eilgang genießen kann, tat es aber dann doch nicht.
Er brannte mir gleich drei CDs mit schönes Musik.
Ich fühlte mich auch ein wenig unwohl, weil mein 'Gleichgeschlechtlich-Sexualitäts-Interessens-Detektor' ungerechtfertigter Weise ausschlug. Denn klar, meiner inneren Logik her, kann ein Mensch, kann ein Mann, der dir von Anfang an offen und nett und interessant begegnet, und welcher dich dann mit zu sich nach Hause nimmt, einen Fremden, nur schwul oder verdammt freundlich sein. Aber nein, er war nicht schwul womit ich sicherlich auch kein Problem gehabt hätte, er war mir gewisser Weise einfach nur gleich gesinnt.

Er rief mich von der Party aus an und meinte die Gemeinschaft ziehe nun weiter da das Lokal zusperrt und ob wir nicht mitkommen wollen.
Schon beim übermitteln seiner Botschaft an den Bestimmten sah ich, dass er nicht wollte das ich gehe.
Doch ich ging.
Und ließ ihm mit einer Verabschiedung und den Worten, "Hey danke für die Musik! Und wir können ja mal was machen?!" zurück .

Eigentlich war ich skeptisch und missmutig, denn er wollte nur das ich auf diese Party mitgehe um mal Spass zu haben, unter Leuten zu sein und vielleicht Freunde zu finden. Und genau das ist passiert. Es verblüfft mich.